Europa besser erklären?

Zu Gast am Land

„Wir müssen Europa besser erklären“, verkündete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage Europas und den Zuhörer beschlich das ungute Gefühl, diesen Satz schon irgendwann irgendwo gehört zu haben. Hatte nicht Wolfgang Schäuble vor kurzem etwas ganz ähnliches gesagt? Oder war es doch unser ruhelose Außenminister Jean Asselborn? Eine kurze Internetsuche bringt Gewissheit: Dieser Satz gehört mittlerweile zum standesgemäßen Repertoire der Berufspolitiker überall in Europa, ein Dauerbrenner, der seit Jahren immer dann bemüht wird, wenn über den Liebesentzug der Bürger für das europäische Projekt geklagt wird.

Die allgemeine Beliebtheit dieser kurzen Redewendung bei regierenden Politikern ist trotz ihrer Einfachheit erstaunlich, da ihre kontraproduktive Natur augenscheinlich ist. Erstens schwingt dabei mit, dass Europa eigentlich ganz gut funktioniert und zweitens, dass die Bürger zu doof sind, um genau das zu verstehen. Beide Annahmen stehen jedoch im Gegensatz zu den Erfahrungen, die eine immer mehr Menschen mit sich durch den Alltag schleppen. Angesichts dieser strukturellen Diskrepanz fragt sich der Bürger schließlich nicht mehr ob, sondern nur noch warum er veräppelt wird.

Dabei gibt es in der Tat einigen Erklärungsbedarf wenn es um die Europäische Union geht. Die Rentnerin in Griechenland versteht nicht, warum ihre Rente halbiert wurde, der spanische Universitätsabsolvent versteht nicht, warum er keinen Job findet und der Cafébesitzer in den Niederlanden versteht nicht, warum er mehr Steuern zahlt als Starbucks.

Das Problem, das immer mehr Menschen mit dieser europäischen Konstruktion haben, ist allerdings kein didaktisches. Es fehlt nicht an pädagogischem Einfühlungsvermögen oder mangelhaften Kommunikationsstrategien, sondern an politischer Einsicht, dass es ohne einen Bruch mit der dominierenden neoliberalen Orientierung keine Zukunft gibt. Weder in Europa, noch im Nationalstaat.

Wenn heute immer wieder betont wird, Europa müsse „sozialer“ werden, dann geht das nur, wenn es einen grundsätzlichen Wechsel der Wirtschaftspolitik gibt. Ausdruck dieser Erkenntnis sind die europaweiten Proteste gegen Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA, die getragen werden von einer umfassenden Allianz von Gewerkschaften, Umwelt-, Verbraucherschutz-, Entwicklungshilfe-organisationen, Landwirten und vor allem von Millionen europäischen Bürgern.

Das Paradox besteht gerade darin, dass in diesem transnationalem Widerstand, vielleicht die Geburtsstunde einer wirklichen europäischen Zivilgesellschaft besteht, die das Potential hat, ein „soziales“ Europa aufzubauen. Umso bedauerlicher und gefährlicher ist die Haltung der luxemburgischen Regierung, die CETA unterschreiben und TTIP weiterverhandeln will, selbst auf die Gefahr hin, sich politisch zu isolieren (immerhin rudern unsere Nachbarländer zurück). Wenn Premierminister Bettel, der sich sonst für keinen Kalenderspruch zu schade ist, dann noch diesen sozialen Widerstand als rein modisches Phänomen abtut und die Regierung (inklusive CSV) behauptet, man müsse die Freihandelsabkommen nur besser erklären, dann zeigt sich, wie weit die LSAP-DP-Gréng-Regierung von der Bevölkerung entfernt ist und wie wenig es ihr um ein soziales Europa geht.

Man muss Europa nicht besser erklären, man muss die europäische Politik fundamental verändern. Die europaweiten Proteste der Menschen sind ein wichtiger Anfang!

Marc Baum, Abgeordneter déi Lénk

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