Zu Gast am Land
Die LSAP erklärt seit Jahren, dass deregulierter Freihandel die bestmögliche Form des Wirtschaftens sei. Kurz darauf heißt es, man habe Verständnis für den gesellschaftlichen Widerstand und dank ihrer – der LSAP – seien die Bedenken der Zivilgesellschaft nun in das Freihandelsabkommen eingeflossen, um im gleichen Atemzug zu sagen, dass sich eigentlich nichts geändert habe… da man ja schon immer Recht gehabt habe, dass der liberale Freihandel ein Segen sei und die zivilgesellschaftlichen Gegner: Spinner.
Widersprüche erkennen und fruchtbar machen, heißt Dialektik. Widersprüche ignorieren und trotzdem das Gleiche und sein Gegenteil behaupten, ist schizophren.
Ähnlich verhält es sich mit dem Thema „Arbeit“: da heuert Wirtschaftsminister Schneider (LSAP) einen Pop-Ökonomen an, der seit Jahren das Gleiche und sein Gegenteil behauptet, um seine widersprüchlichen Thesen auf Luxemburg zu deklinieren.
Jeremy Rifkins Ausgangspunkt ist und bleibt aber erstaunlich altbacken: durch Digitalisierung und Robotisierung wird zukünftig immer weniger menschliche Arbeitskraft gebraucht, um Waren und Dienstleistungen zu produzieren. Klingt irgendwie bekannt.
Wer jetzt denkt, die Sozialdemokratie hätte sich ihrer Wurzeln besonnen, die eben jenes bereits vor mehr als 100 Jahren sagten, irrt.
Es geht nicht darum, durch technologischen Fortschritt die Lebensbedingungen der Menschen und ihrer Umwelt zu verbessern und die offensichtlichste aller Maßnahmen voranzutreiben, nämlich die Arbeitszeit substantiell zu verkürzen. Nein, auch bei Rifkin geht es um die (kapitalistische) Frage, wo denn noch Gewinne erwirtschaftet werden können, wenn der Faktor „Arbeit“ zukünftig immer weniger ausgebeutet werden kann.
Dieser feine Unterschied führte eingangs zu Missverständnissen und erklärt sowohl, weshalb sich die anfängliche Skepsis der Wirtschaftsverbände in eine regelrechte Goldgräbereuphorie gewandelt hat, als auch den wachsenden Widerstand der Gewerkschaften und Umweltverbände (Land 7.10.16).
Zu einem Zeitpunkt einer umfassenden Rekordarbeitslosigkeit, indem das « Ende der Arbeit » vorhergesagt wird, drängen LSAP-Minister auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit (Rentenreform 2012, geplante Abschaffung der Préretraite Ajustement 2016), beziehungsweise auf eine weitere liberale Flexibilisierung der Arbeitszeit (Reform PAN 2016). Das ist ein offener Widerspruch.
Ein Kernelement der Geschichte fortschrittlicher Bewegungen war aber neben dem Kampf für anständige Löhne, immer auch die Reduzierung der Arbeitszeit. Dies auf zwei Ebenen: die Begrenzung der Lebensarbeitszeit durch die Einführung eines solidarischen Rentensystems und die Begrenzung der Wochenarbeitszeit.
Dies ist für Linke deshalb so bedeutend, weil es ein Gewinn an Selbstbestimmung des lohnabhängigen Menschen bedeutet und Ausdruck des zivilisatorischen Fortschritts einer Gesellschaft ist. Die schrittweise Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 52, 48, 44 und schließlich auf 40 Stunden und die Absenkung des Renteneintrittsalters sind wichtige Elemente hiervon.
Diese Entwicklung wurde aber seit dem Vorpreschen des Neoliberalismus in den 70er Jahren zuerst ausgebremst, dann umgekehrt. Genau hier gilt es, den Hebel anzusetzen: die schrittweise Herabsetzung der Arbeitszeit muss wieder auf die politische Tagesordnung. Sie ist ein zentrales Element einer Politik, die die Fähigkeit zurückgewinnen will, eine gesellschaftliche Perspektive zu eröffnen und sozialen Fortschritt für Menschen greifbar zu machen.
Schluss mit der Schizophrenie. Her mit dem guten Leben.
Marc Baum, Abgeordneter déi Lénk