Linke Netzpolitik

Zwei Spuren zur Identitätsfindung linker Netzpolitik: Ein Diskussionspapier von déi Lénk zur Netzpolitik-Konferenz “reclaim the net”

1) Partizipation: „Sozial geht vor“

Das Internet 2.0 steht sinnbildlich für moderne Partizipation. Hier bündeln sich die Hoffnungen, die Demokratie zu fördern, Transparenz zu schaffen und die Kommunikation zu stärken. Wer sich heutzutage gegen interaktive und internetgestützte Partizipation wendet gilt als veraltet oder als Gegner ‘der Bürgermitbestimmung’. Sieht man jedoch über den Hype um das Internet als Partizipationsmedium hinweg, stößt man sehr schnell auf wesentlich ausgewogenere Bilder.

Das Internet hat in der Tat das Potential Partizipation zu stärken: Das Internet ist erschwinglich, die Kommunikation über das Internet funktioniert direkt und unabhängig von Ort und Zeit. Jeder User wird zugleich zum Publizisten, Aufbau und Struktur des Internets können Übersichtlichkeit generieren und Wege werden stark verkürzt.

Diese Grundlagen für die Partizipation über das Netz gilt es zu schützen und zu stärken.
? Die Neutralität des Netzes muss gewahrt bleiben.
? Der Staat muss sich den neuen Partizipationsmöglichkeiten gegenüber öffnen. Transparenz, Beteiligung an Prozessen und das zur Verfügung stellen öffentlicher Güter muss ausgebaut werden.

Fakt ist aber, dass diese Potentiale nicht jedem helfen. Bekannt ist der ‘Digital Divide’, ein Phänomen bei dem ursprünglich zwischen „has“ und „has not“ unterschieden wurde. Heute versammelt dieser Begriff alle Hürden die den Internetzugang von Personen verhindern oder die Internetnutzung erschweren. Ausschlaggebend sind u.a. die Qualität des Internetzugangs, die Qualität und Art des Endgeräts, die Medienkompetenz, also das Know-How im Umgang mit dem Internet und auch praktische Faktoren. Etwa wie viel Zeit eine Person während des Alltags wirklich für Partizipation über das Internet hat.

Die Betrachtung dieser Faktoren führt zur Schlussfolgerung, dass emanzipatorische Netzpolitik eng mit anderen politischen Feldern verbunden ist und der Kampf für soziale Gerechtigkeit auch den Bereich Netzpolitik umfasst. Benachteiligt werden bei der Partitipation über das Netz Leute, die sich aus finanziellen Gründen weniger performantes Equipment leisten können und Leute die aufgrund ihres Alters oder ihrer schulischen Laufbahn über sehr wenig bzw. gar keine Medienkompetenz verfügen. Menschen „vom Land“ werden benachteiligt gegenüber zu Menschen „aus der Stadt“ (u.a. was Infrastruktur angeht), es gibt geschlechterspezifische Unterschiede und es ist auch gezeigt, dass ethnische Minoritäten benachteiligt werden. Auf globaler Ebene kommt der „Divide between Nations“ dazu: Die westliche Welt hält wesentliche Vorteile. Gegen diese Spaltung muss entschieden vorgegangen werden.
? Der Medienunterricht an Schulen soll weiter ausgebaut, LifeLongLearning Angebote im Bereich Medienkompetenz verstärkt werden.
? Der kostenfreie Internetzugang sollen von Kommunen angeboten werden.
? Barrieren müssen abgebaut werden. Vielsprachigkeit, Übersichtlichkeit und Barrierefreiheit müssen bei öffentlichen Internetangeboten garantiert werden.

Zu diesem ersten Phänomen, das hauptsächlich auf Unterschiede beim Internetzugang hinweist und das in Bruchstücken auch bereits Gegenstand politischer Forderungen ist, kommt ein zweiter „Divide“. Dabei geht es um die Frage „wie“ das Internet genutzt wird. Eine Trennung kann aufgezeigt werden zwischen „aktiver und gezielter“ Nutzung und dem Nutzen des Internets als pure Entertainement-Plattform. Untersucht man diese Trennung, stößt man fast schon auf eine klassenspezifische Unterteilung. Wie das Internet genutzt wird ist abhängig von Einkommen, Beruf, Bildung, Geschlecht und familiärer Hintergrund.
Alarmierend wird diese zweite Phänomen bei der Betrachtung der Entwicklung der letzten Jahre. Zwar haben immer mehr Menschen Zugang zum Internet aber bei der Art und Weise wie das Internet benutzt wird, zerfällt die Gesellschaft immer stärker in unterschiedliche Gruppen.
Es besteht die Gefahr, dass an den Instrumenten, die zur Partizipation über das Internet geschaffen werden nicht ein repräsentativer Teil der Bevölkerung teilnimmt und somit die demokratische Legitimität auf der Strecke bleibt.
? Das Schaffen von Partizipationsmöglichkeiten über das Internet muss darauf ausgerichtet sein allen Teilen der Gesellschaft Teilhabe zu ermöglichen.
? Es muss Alternativen zur Internetpartizipation geben, diese müssen ausgebaut werden.
? Im Internet müssen gezielt Projekte gestützt werden, die das Ziel haben, unterrepräsentierte Gruppen zu fördern und Barrieren aus dem Weg zu räumen.

Am Internet also nur die Potentiale zu erkennen ist gefährlich. Eine linke Netzpolitik hat die Aufgabe im Bereich Partizipation die Selektivität aufzudecken und zu bekämpfen. Linke Parteien wollen die soziale Komponenten der Debatte ums Internet in den Fokus rücken. Alle Positionen, die der Politik linker Parteien beim Thema Partizipation wichtig sind, müssen auch bei linker Netzpolitik aufgestellt werden. Beispiele: Immigration (Recht auf Internetzugang für Asylbewerber), Kampf gegen Sexismus, Kampf gegen Lobbyismus etc., Stärkung derjenigen, deren Stimme auch bei Partizipation über das Internet nicht gehört wird, bessere Bildung (mehr Medienkompetenz) und „Bildung für alle“.

2) Öffentlichkeit, Staat oder Markt?

Charakteristisch für den Kampf der Linken im Internet ist der Kampf gegen die dominierenden Konzerne, die diesen öffentlichen Raum zunehmend kommerzialisieren. Angefangen mit juristischen Auseinandersetzungen von Facebook und Co. im Bereich Datenschutz, über die Digitalisierung und kommerzielle Nutzung von öffentlichen Ressourcen (zB. Google Books, Google Art-Project), dem Umgang mit Wissen (OpenAccess bei Staat und Wissenschaft vs. Wissenschaft als Produkt), Filesharing-Fragen und wiederum der Partizipationsfrage (kommerziell gesteuerte Partizipation: Einfluss von Youtube und Facebook auf Partizipation) ist das Internet ein Feld in dem eine ideologische Auseinandersetzung stattfindet.
Eine öffentliche Seite steht einer staatlichen und einer kommerziellen/privaten gegenüber. Linke Parteien können, indem sie sich klar für Projekte der öffentlichen Seite bekennen, klare Vorstellungen und Vorgaben für die staatliche Seite formulieren und entschieden gegen Kommerzialisierung und Privatisierung eintreten gerade im Internet ihre Position festigen und die Notwendigkeit dieser neuen Bewegung erklären.

Beispiele für das öffentliche Prinzip sind neben der Unzahl an kleinen Projekten und Blogs auch bekannte Phänomene, etwa Wikipedia, Open-Source-Projekte wie „Wordpress“ und offene Programmiersprachen wie Linux und die unzähligen Open-Source oder Freesoftware-Programme. Auch alternative Distributionsverfahren etwa durch eine andere Vorstellung von Verteilung und Urheberrechte (Copyleft, CreativeCommons) gehören dazu.
Auf „staatlicher Seite“ stehen etwa Digitalisierungsprojekte wie „Europeana“ oder, in Luxemburg, das digitale Archiv der BnL und Informations- und Beratungsangebote wie etwa „culture.lu“. Es gibt viele Initiativen von Staat und Kommunen den Bürgern über das Internet Teilhabe und Zugang zu öffentlichen Gütern zu ermöglichen. Die Kehrseite des staatlichen Einflusses auf das Internet ist dessen Überwachung.
Die Privatisierung tritt im Internet als „proprietäres“ Prinzip auf: Angefangen mit Bill Gates (und das Prinzip der proprietären Standarts), der einen offenen Quelltext zu einem bestimmten Zeitpunkt zu Privatbesitz erklärte bis hin zur heutigen Apple-Kultur, bei dem der Nutzer praktisch weniger Einfluss auf sein Endgerät hat, als der Konzern. Die Infrastruktur des Internets ist hauptsächlich in Privatbesitz: Google und Amazon-Server beherbergen den größten Teil der im Internet zu findenden Daten und hätten im Zweifelsfall auch die alleinige Kontrolle über diese. Rezente Skandale zeigen ebenfalls, dass diese Konzerne auch ohne zu zögern Daten der Nutzer an Geheim- und Sicherheitsdienste weitergeben, oder im vorauseilenden Gehorsam Selbstzensur üben. Bekannt ist hierzu zB. das Sperren von Wikileaks auf Amazonservern. Der Einfluss der Konzerne ist bedeutend: Sie stellen die Experten, haben ein überlegenes Know-How, sichern sich rechtlich perfekt ab, verfügen über effektive Lobbystrukturen und schaffen jeden Tag Fakten. Debatten wie die um das Filesharing zeigen, wie Konzerne nicht nur eine überforderte Politik für eigene Zwecke vor den Wagen spannen, sondern auch das Potential des Internets: zu teilen, zunehmend einengen.

Das Dreieck Staat/Öffentlichkeit/Markt ist die Basis um Diskussionen im Internet greifbarer und politischer Machen zu können. Die aktuellen Diskussionen lassen sich auf eine Auseinandersetzung dieser drei Akteure reduzieren.

Beispiele hierfür etwa:
– Überwachung, Privatsphäre, Whistleblowing, Deep Packet Inspection etc.
– Das Filesharing, Piraterie, Zugang zu Kulturgütern/Wissen, GoogleBooks
– Netzneutralität, Privatisierung der Infrastruktur.

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