Frank Jost – Endlich haben wir eine Regierung ohne CSV! Das ist wohl eine der häufigsten Äußerungen, die man dieser Tage im Ländchen vernimmt. Die andere, zweifelnde, wäre, wie es ohne die gewohnte Vaterfigur wohl weitergehen wird.
Die Vaterfigur hatte einen recht ungeschickten Einstand als Leader der größten Oppositionspartei. „Was ihr (im Bereich der gesellschaftlichen Reformen) vorhabt, hätten wir sowieso umgesetzt, wenn wir in der Regierung geblieben wären.“ Wenn dem so ist, gibt es keinen Grund, Opposition zu machen…
Gründe, Opposition zu machen gibt es allerdings genug – wenn auch nicht unbedingt aus CSV-Sicht. Es ist nicht selbstverständlich, dass drei politische Strömungen mit grundsätzlich unterschiedlicher politischer Biografie sich am Ende so problemlos auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen können. Der Kitt, der das Ganze zusammenhält ist das Produkt der politischen Konvergenz im Europa der letzten Jahrzehnte und nennt sich liberales Einheitsdenken. Die Sozialisten haben den Bruch mit dem organsierten Salariat zum großen Teil vollzogen, die Grünen haben ihr stetes Streben nach staatstragender Glaubwürdigkeit soweit vollbracht. Im verjüngten Liberalismus der DP finden sie sich wieder.
So werden denn alle liberalen Konterreformen der vorherigen Regierung unter CSV-Führung weitergeführt: Rentenreform, Indexmanipulation, Verschiebung der Einnahmequellen des Staats vom Kapital zum Salariat, viel mehr austeritäres Sparen auf der Ausgabenseite als Beschaffung von neuen Einnahmequellen, um nur die wichtigsten zu nennen. Hinzu kommt die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die als Gebühr für Endabnehmer nochmals die Schaffenden trifft.
Auf der Ebene der europäischen Finanzpolitik wird die Linie Friedens ohne Akzentverschiebung weitergeführt: die Finanztransaktionssteuer ist tabu und wenn sie sich noch so aufdrängt, um die Finanzströme und das Vabanque der Banken zu zügeln. In Sachen automatischem Informationsaustausch wird auf einer isolationistischen Position (gemeinsam mit Österreich) gemauert bis geht nicht mehr.
Auf zwei Gebieten bleibt die Regierungspolitik noch näher abzuschätzen. Die Erziehung ist zurück in den Händen der DP, doch wohl nicht auf der back-to-basics-Linie Brasseurs, eher in der Weiterführung der Delvaux-Linie mit einer noch stärkeren Dosis Liberalismus. Kommt die Frage nach der Schule als Instrument zum Ausgleich der sozialen Ungleichheit überhaupt vor?
Um der Misere im Wohnungsbereich zu begegnen geht es nur mit einer radikalen Umkehr, das sagt heute fast jeder. Hier haben die CSV-Kräfte bereits mittels Syvicol Einspruch erhoben, obgleich sie in dieser Frage als völlige Versager besser schweigen sollten. Anhand der Reform der Dotation für die Gemeinden, je nach ihren Bemühungen, den sozialen Wohnungsbau zu fördern, wird sich schnell zeigen, was Sache ist.
Die DP-LSAP-déi Gréng-Regierung wird einige überfällige gesellschaftliche Reformen durchführen. Die Laizisierung von Staat und Schule und andere fortschrittliche Reformen, wie die Abschaffung der letzten homophoben Bestimmungen, wird auch die Unterstützung der einzigen linken Gruppe in der Kammer finden. Es tut nicht viel zur Sache, doch sollte es erwähnt werden: Diese Reformen sind derart überfällig, dass sie längst eine Mehrheit in der Gesellschaft haben. Die neue Regierung ist in der glücklichen Lage, gereifte Früchte ernten zu können.
Der Mut zu Reformen im gesellschaftlichen Bereich betrifft aber noch lange nicht die Demontage der übelsten Auswüchse des CSV-Staats: der Spitzeldienst wird wie vorher mit ein Quäntchen mehr parlamentarischer Kontrolle schalten und walten wie gehabt. Das tragikomische Vortanzen aller früheren und aktuellen Vertreter der bewaffneten Mächte im Staat vor dem Luxemburger Bezirksgericht, deren offensichtliche Verachtung und Verspottung der Justiz wäre ein anderes Übel des CSV-Staats, das von der neuen Regierung mit kräftigem Besen angegangen werden müsste. Aber das wäre doch wohl wirklich zu viel verlangt.
(Frank Jost ist Mitglied des Koordinationsbüros von dei Lénk.)