Zunächst hieß es, die Verfassung müsse „der politischen und sozialen Realität angepasst werden“. Kein ehrgeiziges Ziel also. Die institutionelle Krise um das Euthanasiegesetz führte alsdann zu einer Beschränkung der großherzoglichen Befugnisse. Schließlich verlangte der Skandal um den Geheimdienst eine Reflexion über das praktische Funktionieren unserer Demokratie. Aber die langwierigen Arbeiten im zuständigen parlamentarischen Ausschuss wurden (mit wenigen Ausnahmen) nicht von einer breiten öffentlichen Debatte begleitet.
Das wird jetzt anders mit den Referenden, die die neue parlamentarische Mehrheit beschlossen hat. Zumindest drei der vier Fragen berühren in der Tat Kernprinzipien der Demokratie: das Wahlrecht für Ausländer, für 16-Jährige und das Verhältnis Staat-Kirchen. Bisher sind allerdings die Vorschläge der Mehrheit zu den Fragen entweder sehr restriktiv (Wahlrecht für Ausländer) oder sehr deutungsbedürftig (Kirchen).
Dennoch: sollte in diesen drei Fragen eine deutliche Mehrheit für die Neuerung zustande kommen, wäre dies ein kleiner gesellschaftlicher Fortschritt. Der CSV geht er noch zu weit. Fast könnte man meinen, der Abgang Jean-Claude Junckers sollte genutzt werden, um nach einer Phase der bescheidenen Modernisierung wieder mehr Rückschritt zu wagen.
Aber auch die Mehrheitsparteien bleiben in ihrem bisherigen Entwurf einer neuen Verfassung recht konservativ: „une réforme rassurante mais peu ambitieuse“ schrieb der renommierte Jurist Dean Spielmann.
Wenig Neues zur Frage der Monarchie: trotz beschnittener Rechte behält der Monarch wichtige Funktionen, die in einer Demokratie eigentlich nur gewählten Organen zukommen dürften. Das von der LSAP versprochene „schwedische Modell“, also nur eine strikt symbolische Rolle der Monarchie, steht bisher nicht zur Diskussion. Geschweige denn die Republik.
Aber sind Thron und Altar denn überhaupt noch die großen Gefahren für unsere Freiheit und Gleichheit? Oder sind es die ökonomischen Mächte, vor denen uns nationale Verfassungen ebenso wir europäisches und internationales Recht vor allem schützen müssten?
Auch der neue Verfassungsentwurf ist noch sehr dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts verhaftet. Die unternehmerische Freiheit gilt als Grundrecht, das Recht auf Arbeit aber nur als „objectif à valeur constitutionnelle“, was das auch immer heißen mag. Soziale Sicherheit, Gesundheitsschutz und Rechte der Beschäftigten sind lakonisch in einem Artikel zusammengekleistert, ihre prinzipielle Ausrichtung wird dem Gesetz überlassen – nichtssagend!
Die klassischen liberalen Rechte scheinen immer noch den Sozialrechten übergeordnet, die negativen Freiheiten den positiven Ansprüchen, die Beschränkung der Staatsmacht ihrer sozialen Verantwortung. Damit bleiben wir hinter der internationalen Debatte zurück ebenso wie hinter den internationalen Verträgen, die wir doch mitunterzeichnet haben.
„Das Recht auf Arbeit ist unentbehrlich zur Inanspruchnahme anderer Menschenrechte; es ist untrennbarer und integraler Bestandteil der menschlichen Würde“, heißt es zum Beispiel in einer Allgemeinen Beobachtung zum internationalen Pakt der Sozialrechte.
Aber diese Einsicht, dass die soziale Absicherung in ihren vielfältigen Formen erst die Inanspruchnahme der anderen Grundrechte ermöglicht, ist vielleicht noch nicht bei uns angekommen. Dazu brauchen wir also noch eine breite öffentliche Debatte. Und ja, warum denn nicht auch eine Frage zum Volksentscheid?
André Hoffmann