Einwohnerwahlrecht – aus linker Perspektive

Wie nie zuvor werden sich anlässlich des Referendums wesentliche Fragen gestellt, vor allem bezüglich des Ausländerwahlrechts, bzw. des Einwohnerwahlrechts, denn im Ausland wohnt niemand dieser Mitbürgerinnen und –bürger.

Ein “Eliteprojekt”? Wer sind die neuen Wähler?

304.000 Luxemburger (54%) und 258.000 Ausländer (46%) wohnen in Luxemburg.

104.000 ausländische Einwohner im Wahlalter wohnen seit über 10 Jahren im Land und erfüllen damit die objektive Voraussetzung des Wahlrechts so wie es im Referendum vorgeschlagen wird.

Wenn diese neuen potenziellen Wähler alle wählen gehen würden, würde sich die Zahl der Wahlberechtigten von 54% auf 78% erhöhen.

Die Wähler würden im Schnitt jünger und aktiver sein und es würden wieder mehr Arbeiterinnen und Arbeiter wählen gehen. 42% der neuen Wähler wären qualifizierte und unqualifizierte Arbeiter, bei den Luxemburgern sind es 22%. Der Anteil der Frauen ist viel stärker bei den ersteren als bei den letzteren.

Ökonomische Bereiche wie der Bausektor, die HORECA, der Dienstleistungssektor oder das Gesundheitswesen würden in weiten Teilen für die repräsentative Demokratie erschlossen!

Dies zeigt wie sehr demokratische und soziale Erneuerung in dieser Frage zusammenhängen.

Und wie wenig es sich hier um ein “Elitenprojekt” im Interesse der Unternehmerverbände handelt. Es sind die Mitglieder der Gewerkschaften die das Wahlrecht erhalten werden!

Ungleiche Bedingungen für die Wähler?

Man kann kritisieren, dass die vorgeschlagene Verfassungsänderung auf Freiwilligkeit setzt und dass Nichtluxemburger nicht Kandidat sein dürfen. Und dass sie vorher bereits einmal bei Kommunalwahlen oder Europawahlen gewählt haben müssen.

Man kann das als Inkohärenz empfinden. Doch, weshalb nicht langsam alle vom Vorteil des Zusammenwachsens überzeugen? Das Einwohnerwahlrecht gibt es heute schon bei Gemeinde- und Europawahlen in allen EU-Ländern. Die neuen möglichen Wähler sind also alle schon mögliche Wähler bei diesen Wahlen.

Deshalb wird wahrscheinlich die Zahl der effektiv an Wahlen teilnehmenden neuen Wähler die 35.000 der letzten Gemeindewahlen nicht wesentlich überschreiten, wenn überhaupt (beträgt doch die Residenzdauer 5 Jahre bei Gemeindewahlen, aber vorgeschlagene 10 Jahre bei Parlamentswahlen).

Weshalb nicht den Weg über die Nationalität gehen?

Weshalb dennoch dieses Misstrauen gegenüber dem Einwohnerwahlrecht bei Parlamentswahlen?

Natürlich weil die Staatsbürgerschaft in den Nationalstaaten Europas immer auch die Nationaliät voraussetzt (ausser für Commonwealthbürger in Grossbritannien). Doch alle diese Länder haben einen Ausländeranteil von durchschnittlich 7%, Luxemburg von 46% (Tendenz steigend)!

46% der Menschen mit einer anderen Nationalität im Land können nicht kurzfristig alle zusammen ihre Nationalität aufgeben oder zusätzlich eine andere Nationalität hinzunehmen wollen (wenn sie das überhaupt können), nur um bei den Parlamentswahlen wählen zu gehen.

Denn zur Nationalität gehört mehr als das Wahlrecht, dazu gehören auch Rechte, die mit dem persönlichen Statut, mit dem der Familien, der Kinder zusammenhängen.

Zudem hat die Nationalität immer auch mit sentimentaler Zugehörigkeit zu tun. Nicht nur die meisten Luxemburger, auch die meisten Ausländer hängen an ihrer Herkunft!

Luxemburger werden diese Menschen im Laufe der Generationen und zwar nicht durch Assimilation (indem sie sich einseitig an uns anpassen), sondern durch Integration (im Verlaufe derer alle aufeinander zu gehen).

Eine pragmatische Lösung für ein reelles Problem

Die Vergabe verschiedener politischer Rechte an Menschen mit anderer Nationalität, die dauerhaft hier wohnen und das wirtschafliche wie das kulturelle Leben mitgestalten, ist eine pragmatische Lösung, die auch der Auffassung nahekommt, dass die Nation eine Gemeinschaft der auf einem Territorium wohnenden Menschen ist. Der Vorsitzende der Verfassungskommission 2013, P.H.Meyers (CSV) meint dazu ausdrücklich: “La Nation ne vise pas seulement ceux qui ont la nationalité luxembourgeoise.” (Sitzungsbericht 13.3.2013)

Eine solche Ausdehnung politescher Rechte ist schon in der aktuellen Verfassung und im Verfassungsprojekt, das von der CSV mitgetragen wird, ausdrücklich vorgesehen. (“la loi peut conférer l’exercice de droits politiques à des non-Luxembourgeois”, Artikel 9 aktuelle Verfassung).

Eben nur noch nicht für die Parlamentswahlen, obschon die CSV bis kurz vor den Neuwahlen 2013 noch das Vorhaben mittrug, den Zugang zu den Kammerwahlen durch Gesetz mit 2/3-Mehrheit möglich zu machen (siehe gleichen Sitzungsbericht).

Nur weil die CSV nach den Wahlen von 2013 einen “Kurswechsel” beschloss und den Konsensus kündigte, bedarf es jetzt der Volksabstimmung!

Eine Frage der nationalen Souveränität ?

Wenn die luxemburgische Nationalität, trotz aller Anstrengungen sie auszuweiten, in 5-10 Jahren minoritär sein wird (einem Zuwachs von 10.000 Einwanderern jährlich stehen 4000 Naturalisierungen gegenüber), steuern wir politisch auf eine völlig “absurde” Situation hin.

Sind wir dann ein Vielvölkerstaat mit mehreren nationalen Minderheiten, die alle eigene Rechte einklagen werden?

Diese Gefahr haben viele Menschen in diesem Land erkannt, weshalb auch die Frage um das Einwohnerwahlrecht so akut und aktuell wie in keinem anderen Land ist. So gibt es beispielsweise in  Parteien und in deren Umfeld, die offiziell gegen das nationale Einwohnerwahlrecht sind, Befürworter wie das z.B. bei den CSVnahen CSJ, LCGB, Luxemburger Wort der Fall ist.

Viele haben verstanden, dass es nicht einfach um eine Kritik an “Gambia”, um ein kurzes “Ellenbogenbiegen” zwischen verschiedenen Parteien geht, sondern um eine übergeordnete demokratische Frage .

Und damit auch um eine Legitimationsfrage des politischen Systems und der ihm verbundenen Elite. Aber es geht auch um die Legitimität jeder Systemalternative, die nur demokratisch sein kann! Deshalb sind  déi Lénk für das Einwohnerwahlrecht.

Wird die demokratische Souveränität des Landes deshalb in Frage gestellt ? Doch aber nicht von den ausländischen Arbeitern und Angestellten, sondern höchstens von den Finanzaristokratien und Multis mit Geschäftssitz in Luxemburg. Was manche Anhänger des Nein als Ausdruck unserer nationalen Souveränität unkritisch verteidigen, zusammen mit den “Eliten”.

Hat das Wahlrecht nur für Luxemburger bis heute irgend etwas an der eingeschränkten politischen Souveränität Luxemburgs geändert? Können die Luxemburger allein TTIP verhindern, besser als mit den ausländischen Wählern? Die Frage stellen heisst darauf antworten.

Alle die Menschen die sich Sorgen darüber machen, was sie in dieser Gesellschaft noch zu sagen haben, möchten wir dringlichst raten: es gibt keine nationale Souveränität ohne politische Rechte für die grosse Mehrheit der Bevölkerung!

Und die luxemburgische Sprache?

Ja, die besondere Sprachensituation Luxemburgs ist eine Herausforderung der Gegenwart und der Zukunft und wir haben sie bisher nicht so schlecht gemeistert. Wer hätte gedacht, dass das “Moselfränkische” des 19.Jahrhunderts (Deutsch und Französisch waren lange unsere zwei einzigen offiziellen Sprachen) jemals so populär sein würde wie heute, wo es von sovielen Menschen wie nie zuvor gesprochen wird?

Die Frage der Sprachen stellt sich bei den Menschen die hier leben, egal ob sie hier wählen oder die Nationalität erhalten wollen.

Alle, auch wir, müssen Anstrengungen machen, wofür wir mit unserer Vielsprachigkeit im Prinzip gute Voraussetzungen mitbringen, was aber nicht heisst, dass das Schulsystem nicht verbessert und zugänglicher gemacht werden muss.

Ja das muss es, denn viel zu viele Arbeiterkinder, luxemburgische wie nichtluxemburgische, scheitern. Wir haben als déi Lénk viele Vorschläge in diese Richtung gemacht, auch was den besseren Gebrauch des Luxemburgischen (als Schriftsprache) angeht und einen mündlicheren Zugang zum Französischen, um im Berufsleben besser bestehen zu können.

Sich aus dem Referendum raushalten?

Scheinheilig ist es zu meinen, dass wir uns aus dem Referendum heraushalten sollen, nur weil die eine oder andere Frage nicht gestellt wurde. Oder weil man gerne weiter gegangen wäre.

Oder weil man meint, die Fragen seien von denen “da oben” gestellt worden. Wir sind nicht von “da oben”, die ASTI, der OGBL auch nicht. Die Frage ist dort seit langem in der Diskussion, in einer Zeit in der man “oben” noch dagegen war. Déi Lénk haben das allgemeine Wahlrecht für Alle seit jeher an in ihrem Programm.

Dass die Frage nicht schon seit langem mehr erläutert und popularisiert wurde (zugegeben, wohl auch aus fehlendem Mut), und dass auch die ausländischen Mitbürger (die sich aber in Umfragen sehr deutlich dafür aussprechen) das Wahlrecht bisher nicht genug eingefordert haben, stimmt alles ohne Zweifel.

Doch die Frage ist nun gestellt und wir müssen darauf antworten. Sie ist nicht in einer idealen Gesellschaft gestellt. Sondern in einer Gesellschaft in der es grosse soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten gibt, für die alle Regierungsparteien (und am meisten noch die CSV!) die Verantwortung tragen.

Und sie ist gestellt in einer Zeit in der es einen Nährboden für rechte und ausländerfeindliche Lösungen gerade in Bevölkerungskreisen gibt, die Interesse daran hätten mit ihren zugezogenen Klassenbrüdern und -schwestern zusammen das Kapital zu bekämpfen, anstatt – wie in Frankreich oder Deutschland – Front National und PEGIDA hinterher zu laufen und sich von Rechtsextremen manipulieren zu lassen.

Was man in gewissen Foren an Ausländerfeindlichkeit und schlichtem Rassismus lesen muss, geht auf keine Kuhhaut. Leute wie Fred Keup, die die Internet-Seite Nee2015 zum kollektiven Propagandisten und Organisator des Nee aufgebaut haben, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, bewusst im Trüben zu fischen.

Doch wir gehen davon aus, dass die Bevölkerung mehrheitlich im Interesse des Landes handeln wird.

Das Einwohnerwahlrecht ist eine soziale Frage, eine demokratische Frage und letztlich auch eine nationale Frage.

Welches Luxemburg wollen wir hier und jetzt?

Am 7.Juni haben wir die Möglichkeit unser Land ein wesentliches Stück voranzubringen.

Ja zum Einwohnerwahlrecht!

Serge Urbany, Abgeordneter

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