Die Verfassung eines Landes bestimmt die grundlegenden Prinzipien des Zusammenlebens. Deshalb muss sie von der Mehrheit der Menschen getragen und als sinnvoll empfunden werden. Ein Grundgesetz muss aber auch auf der Höhe der Herausforderungen einer Gesellschaft sein und ihre Entwicklung begleiten. Jeder notwendigen Veränderung bedarf es deshalb einer breiten gesellschaftlichen Diskussion.
Die aktuelle luxemburgische Verfassung stammt aus dem 19. Jh. Sie hat nur noch wenig mit der gesellschaftlichen und sozialen Realität unseres Landes zu tun. Diese Situation ist einer Demokratie des 21. Jahrhunderts unwürdig. Vor rund 15 Jahren begannen deshalb die Arbeiten an einem neuen Text mitsamt dem Versprechen eines abschliessenden Referendums. Déi Lénk begleiteten diesen Prozess konstruktiv, aber kritisierten von Anfang an zwei wesentliche Dinge:
- Die Textvorlagen orientierten sich nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners der vier staatstragenden Parteien CSV, LSAP, DP und déi Gréng. Es gab leider nie die Ambition einen fortschrittlichen Text zu entwickeln. So blieb es in grossen Zügen bei reinem Facelifting. Deshalb entwickelten déi Lénk einen alternativen Verfassungstext, der die zentralen Herausforderungen unserer Zeit mitzudenken versuchte: Stärkung individueller und sozialer Rechte, Klimawandel und Biodiversitätsverlust, Wohnungskrise, Bürgerbeteiligung,….
- Die Diskussion um die Verfassungsreform wurde grösstenteils hinter den verschlossenen Türen der Parlamentskommission geführt. Die Bürger waren jahrelang überhaupt nicht eingebunden, dann äusserst zaghaft und meist nur symbolisch.
2019 wurde dann auf Druck der CSV der Verfassungstext in 4 Teile zergliedert und das versprochene Referendum abgesagt und durch eine Informationskampagne ersetzt. Statt Mitbestimmung ist nun also Belehrung angesagt.
Nach 1 ½ Jahren pandemiebedingter Einschränkungen hat die ADR die Verfassung entdeckt, die sie in den letzten 12 Jahren uninteressiert und stillschweigend mittrug. Sie versucht jetzt politisches Kapital aus dem Unbehagen vieler Menschen zu schlagen. Ihre Kampagne (und die entsprechende Petition) benutzt die berechtigte Empörung über fehlende Mitbestimmung und verbindet sie mit Ängsten vor Impfzwang, mittelalterlichem Royalismus, einem autoritär-konservativen Familienbild und einer neoliberalen Staatsfeindlichkeit.
Déi Lénk treten ein für eine wirkliche Beteiligung der Bürger bei der Entwicklung des wichtigsten Gesetzes des Landes. Nur stellt sich die Frage, inwiefern eine Ja/Nein-Frage bei einem Referendum überhaupt aussagekräftig ist. Bedeutet ein ‘Nein’ zum vorliegenden Text automatisch ein Bekenntnis zur Verfassung des 19. Jh. oder ist es Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem vorliegenden Entwurf, der nicht auf der Höhe der Zeit ist? Die gleiche Frage stellt sich umgekehrt bei einem ‘Ja’.
Deshalb sind wir der Überzeugung, dass sich aus der Fragestellung des Referendums entweder eine klar interpretierbare Position (a, b) oder aber ein zumindest deutlicher Auftrag (c ) ableiten lassen muss. Deshalb bedarf es dreier Fragen: a) ‘für die Verfassung des 19. Jahrhunderts’, b) ‘für den neuen Verfassungstext’ und c) ‘für eine verbesserte Verfassung’. In letzterem Fall gilt es den Bürgern die Möglichkeit zu geben, jene Bereiche zu umreissen, die verbesserungswürdig sind. Eine Demokratie lebt von der Partizipation ihrer Bürger. Ein Referendum ist kein Fetisch, sondern Mittel und Ausdruck der Mitbestimmung und sollte deshalb auch intelligent benutzt werden.
Marc Baum, Mitglied der Nationalkoordination von déi Lénk