LuxLeaks: Von Krümeln und systemischer Ungerechtigkeit

Zu Gast am Land

Beim sogenannten LuxLeaks-Prozess, bei dem ausschließlich zwei Whistleblower (lanceurs d’alerte) und ein Journalist auf der Anklagebank sitzen, wird der eigentliche Hintergrund des Verfahrens meist vergessen: Es geht um die Veröffentlichung eines umfangreichen Systems von Steueroptimierung und Steuerhinterziehung durch multinationale Konzerne mit aktiver Hilfe fast sämtlicher OECD-Staaten.

Laut Anklageschrift geht es scheinbar um Diebstahl. Doch wer ist der Dieb? Diejenigen, die die Missstände ans Licht der Öffentlichkeit brachten? Oder sind es nicht doch eher die Konzerne, die riesige Gewinne erwirtschaften und fast keine oder gar keine Steuern zahlen, während jeder normale Bürger, Lohnabhängige wie Klein- und Mittelunternehmen, seinen Beitrag leistet? Solche Konzerne und Finanzkartelle bestehlen die Staaten und die Bürger, doch über diesen Tatbestand des organisierten Diebstahls wird einfach hinweg geschaut, trotz offensichtlicher Ungesetzlichkeiten.

Dabei wäre es eigentlich nur normal, dass auch Konzerne und Superreiche ihren fairen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Infrastrukturen – wie Bildung, Gesundheit, Sozialsysteme und Verkehrswege – leisten, die sie ja auch völlig selbstverständlich nutzen.

Das tun Konzerne wie Google, McDonald‘s, Amazon, Ikea, Starbucks und einige hundert andere aber nicht, oder auf jeden Fall in viel zu geringem Ausmaß. Mit Hilfe von Steuertricksereien und entsprechenden  Beraterfirmen (den „Big Four“ und anderen Kanzleien) werden aggressive Steueroptimierung und Steuerhinterziehung im industriellen Ausmaß praktiziert. Über Stiftungen und komplexe Finanzprodukte (Stichwort Panama-Papers und Off-Shore) werden diese Gewinne wiederum steuerfrei an die Superreichen ausgeschüttet. Ob es sich dabei um illegale Praktiken handelt oder um die legale Ausnutzung von gefälligen und lückenhaften Steuergesetzen ist letztlich unerheblich: Die Allgemeinheit trägt in beiden Fällen den Schaden.

Denn die Leidtragenden dieses Diebstahls sind die Staaten, die ihre Ausgaben für Bildung, Sozialsysteme (Gesundheit, Renten, Bedürftige) und Infrastruktur kürzen, sowie öffentliches Eigentum zu Ramschpreisen verhökern (und dann noch einspringen, wenn die Finanzjongleure sich verspekuliert haben). Die Leidtragenden sind aber vor allem die Bürger, die zunehmend geschröpft werden, die Minderbemittelten sowieso, bis hin zu den sogenannten Mittelschichten, die sozial immer weiter abgleiten.

„LuxLeaks“ ist die Spitze des Eisberges eines globalen Systems der Bereicherung Weniger auf Kosten der Mehrheit. Die Krümel, die der Luxemburger Staat dabei einzustecken hofft, stehen in keinem Verhältnis zum Schaden, der damit weltweit angerichtet wird.

Doch scheinen wir nicht bereit, die richtigen Lehren aus diesem eigentlichen Skandal zu ziehen. Viel lieber will man die Botschaftsüberbringer, die Whistleblower Antoine Deltour und Raphaël Halet und den Journalisten Edouard Perrin an den Pranger stellen, so wie die Staatsanwaltschaft dies beim sogenannten LuxLeaks-Prozess tat (völlig unabhängig, versteht sich, dennoch ausgesprochen einseitig).

Doch dem System von Bereicherung der obersten 1% wird der Prozess nicht vor Gericht gemacht. Dies kann nur auf der Straße erfolgen, auch durch die Mobilisierung für eine gerechte Steuerpolitik, die sich in ganz konkreten Vorschlägen ableiten lässt. Nur so können wir am Machtgefüge der systemischen Ungerechtigkeit rütteln.

Justin Turpel, ehemaliger Abgeordneter von déi Lénk

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