Offener Brief zur gleichgeschlechtlichen Ehe an Herrn André Grosbusch, Präsident von „Vie Naissante“

25. Februar 2013

Offener Brief zur gleichgeschlechtlichen Ehe an Herrn André Grosbusch, Präsident von „Vie Naissante“

Sehr geehrter Herr Grosbusch,

In Ihrem Leserbrief im Luxemburger Wort vom 16. Februar „Tief verwurzeltes Bedürfnis“ reagieren Sie auf die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Frankreich. Auch in der RTL-Sendung Kloertext äußern Sie Ihre Bedenken gegenüber der gleichgeschlechtlichen Ehe. Ihr Hauptargument hierbei: Die Kinderrechte. Des weiteren äußern Sie Ihre Ängste gegenüber der Leihmutterschaft und der künstlichen Befruchtung und schildern die Zukunft als eine Dystopie, in welcher Paare die im PACS, im „Konkubinat“ oder polyamor leben, im „Namen der Freiheit“ und im „menschlichen Allmachtswahn“ Kinder adoptieren können.

Die Frage stellt sich, wieso Sie sich derart vehement von einem Gesetz angegriffen fühlen, das Sie persönlich zu nichts zwingt? Aus gutem Grund gingen in Frankreich Demonstrant-Inn-en auf die Straße mit Plakaten wie „Est-ce que j’ai donné mon avis sur votre mariage?“. Eine berechtigte Frage. Sollte man im Fall der konservativen, katholischen Reaktionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe nicht besser von dem „Allmachtswahn“ der katholischen Kirche und ihren Anhängern sprechen? Denn diese, und nicht homosexuelle, linke, grüne oder Menschen ganz gleich welcher Gesinnung, maßen es sich an, sich in einem katholisch-religiösen „Allmachtswahn“ in das Leben anderer Menschen zu mischen. In dem Selbstbewusstsein, als Katholik oder religiöser Mensch den Alleinanspruch auf die Moral, auf richtig oder falsch, zu haben, bewerten Sie die gleichgeschlechtliche Ehe als „falsch“ und finden, dass die Ehe nur heterosexuellen Paaren vorbehalten bleiben soll. Nun sind aber zum Glück nicht alle Menschen katholisch und andersdenkende und andersfühlende Menschen als „falsch informiert“ und unfähig einer moralischen Lebensweise oder Urteilskraft darzustellen, ist anmaßend und weltfremd.

Zu den Kinderrechten: Viele Menschen äußern die Bedenken, Kinder gleichgeschlechtlicher Paare könnten in der Schule gemobbt werden. Dies mag vielleicht zutreffen, aber die Frage stellt sich, wieso diese Kinder gemobbt werden? Haben Siebenjährige eine fundierte Meinung zur gleichgeschlechtlichen Ehe? Lesen sie sich darüber Zeitungsartikel durch, nehmen sie an kontroversen Debatten teil? Wohl kaum. Kinder wiederholen in der Schule oft das, was sie von den Eltern oder von andern Erwachsenen vermittelt bekommen. Außerdem werden auch viele eheliche Kinder von heterosexuellen Paaren gemobbt wegen ihrem sozialen Hintergrund, ihrer Nationalität, Brille, Haarfarbe, Hautfarbe, Herkunft u.s.w. Mobbing ist das Resultat unterdrückender Gesellschaftsstrukturen die wir übernommen haben und weiterhin nähren und nicht die Folge von Lebensentscheidungen von Menschen die sich von diesen aufgezwungenen Normen zu befreien versuchen.

Zur Gleichheit: In Ihrem Leserbrief schreiben Sie, man wäre in Paris nicht gegen die Gleichheit auf die Straße gegangen. Aber was bedeutet Gleichheit für Sie? In Ihrem Artikel ist nur von Gleichheit für „Gleiche“ (zu diesen, so scheint es, zählen für Sie nur die heterosexuellen Paare) die Rede. Homosexuelle, polyamor lebende Menschen, sowie Lebensgemeinschaften, die nicht in der Ehe leben (Sie benutzen hierfür den abwertenden Begriff „Konkubinat“) scheinen nicht in die Gunst Ihrer Vorstellung von Gleichheit zu kommen. Was aber bedeutet Gleichheit für alle, nicht nur für einige? Der zweite Artikel der Menschenrechte garantiert jedem Menschen die gleichen Rechte, unabhängig von „Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“. Die Stichworte unabhängig von „Geschlecht (…) oder sonstiger Anschauung“ treffen also auch auf die Ehe zu. Gleichheit darf nicht anhand primärer Geschlechtsmerkmale oder sexueller Gesinnung gemessen werden, Gleichheit sollte allumfassend und universal sein!

In ihrem Leserbrief sprechen Sie sich zudem gegen die Leihmutterschaft und gegen die künstliche Befruchtung aus. Da es in Luxemburg aber heterosexuellen Paaren erlaubt ist, eine künstliche Befruchtung oder eine Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen, sollte dies auch für homosexuelle Paare gelten. Alles andere wäre gegen das Prinzip der Gleichheit und würde Menschen wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminieren. Es ist höchste Zeit mit christlichen, konservativen Werten zu brechen, die verklemmten und archaischen Vorstellungen der Kirche über Bord zu werfen um eine emanzipierte, gleichberechtigte Gesellschaft möglich zu machen.

Indem Sie Ihre Meinung in die Öffentlichkeit tragen, fördern Sie die bereits zur Genüge bestehenden Vorurteile und die dadurch verbreiteten Diskriminierungen gegenüber andersdenkenden und anderslebenden Menschen. Und es ist genau diese feindliche gesellschaftliche Atmosphäre, die junge Menschen bei der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit hindert. Vielleicht sollten Sie diesen Aspekt auch in Ihr Sorgen um das Wohlergehen von Kindern miteinbeziehen.

Wir wollen als Mitglieder von „déi Lénk“ dem französischen Staat zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe gratulieren. Wir hoffen, dass es diese nun auch bald in Luxemburg geben wird und dass konservative Normen nicht weiterhin die Emanzipierung und Laizisierung der Gesellschaft bremsen.

Die Autoren, Vera Dockendorf, Gilles Ramponi, Léon Rippinger, Philippe Schumann und Ana Correia sind Mitglieder von „déi Lénk“

-> Hier die Antwort von Herrn André Grosbusch
-> Hier eine Reaktion von Luc Deitz und Friederike Migneco

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