Carole Thoma – Ich werde den Blickwinkel einer jungen Generation auf die Lage der Nation einnehmen. Einer Generation, die, wie ich selber, keinen anderen Premierminister als Jean-Claude Juncker gekannt hat. Einer Generation, die sich nicht einmal vorstellen konnte, eine andere Person als den „Übervater“ der Nation an der Spitze der Regierung zu erleben. Einer Generation, die interessiert verfolgt hat, wie nach einer Reihe von Staatsaffären dann vor 2,5 Jahren sich tatsächlich eine Mehrheit ohne die CSV bildete. Die neue Regierung trat an mit dem Versprechen, „d’Fënsteren grouss opzemaachen“. Ich muss leider angeben, davon noch nichts gespürt zu haben.
Genau wie die CSV davor hat sich die Regierung die Priorität gesetzt, das Triple A an den Kapitalmärkten zu verteidigen. Und genau wie die CSV davor setzt sie auf eine Austeritätspolitik als logische Konsequenz zum Erreichen dieses Ziels. Keine 6 Monate nach Antritt hat die neue Regierung als erste Maßnahme die finanzielle Unterstützung für Studenten enorm gekürzt. Die Politiker der Mehrheitsparteien waren wenig beeindruckt vom größten Streik seit Jahren, bei dem quasi meine ganze Generation auf der Straße für ihr Recht auf Bildung demonstrierte. Und das obwohl immer mehr Leute studieren müssen da das Abitur an Wert verliert und es immer schwieriger wird, eine Lehrstelle zu finden.
Sozialaufbau auf Kosten der jungen Generationen.
Und der Sozialabbau ging munter weiter. Die Familienzulagen wurden eingeschränkt oder ganz abgeschafft, was jungen Leuten in Zeiten von Austerität und einem unsicheren Arbeitsmarkt die Familiengründung enorm erschwert. Man muss auch bedenken dass die geplante Flexibilisierung des „Congé Parental“ allein vom Willen des Arbeitgebers abhängt. Und jetzt soll auch noch das Kindergeld gekürzt werden. Der „Zukunftspak“ der Regierung schafft ironischerweise eine Generation ohne Zukunft.
Denn die Lage der Nation ist die, dass jedes 4. Kind und fast jede zweite Familie mit alleinerziehendem Elternteil im Land mit dem Armutsrisiko leben muss. Dieses Risiko steigt in keinem anderen Mitgliedsstaat der EU so stark an, wie in Luxemburg. Dabei hat die ökonomische Situation der Eltern einen sehr starken Einfluss auf die Entwicklung der Kinder. Ein schlechterer Gesundheitszustand, sowie ein schlechteres schulisches Abschneiden sind nur zwei Konsequenzen, wenn eine Familie in einer schwierigen finanziellen Lage steckt. Grund für diese steigende Armut ist neben der katastrophalen Sozialpolitik der Regierung auch ihre unverständliche Wohnungspolitik. Die Wohnsituation alleine stellt schon für viele junge Familien ein großes Armutsrisiko dar.
Wohnsituation treibt junge Menschen in die Armut
Die Regierung setzt immer noch alternativlos auf den freien Markt als Lösung für die Wohnungsproblematik. Doch es reicht einfach nicht, nur das Angebot zu erhöhen um die Preise zu senken, wenn dieses Angebot nicht bedarfsgerecht ist. Es ist unverständlich, wieso die öffentliche Hand ihre Verantwortung nicht endlich übernimmt und selber baut. Es wird Zeit, dass der Staat aufhört, auf dem internationalen Finanzmarkt mit fragwürdigen Papieren zu spekulieren und anfängt, in einen nachhaltigen Wohnungsbau zu investieren. Es fehlt jedoch nicht nur an bezahlbarem Wohnraum, sondern auch an einer modernen Gesetzgebung für alternative Wohnformen. Während die meisten jungen Leute in anderen Ländern in Wohngemeinschaften leben, fehlt in Luxemburg der legale Rahmen dafür.
Ich bin eine 25-jährige Studentin und stehe kurz vor meinem Abschluss. Wie soll ich mir eine Wohnung leisten ohne zu riskieren, unter die Armutsgrenze zu fallen? Ist es wirklich eine gute Idee, einen zusätzlichen Kredit für den Wohnungskauf aufzunehmen, wenn man bereits während des Studiums einen Schuldenberg angesammelt hat? Oder ist eine übertriebene Miete, welche oft die Hälfte des Einkommens junger Berufsanfänger beansprucht, eine Alternative?
Wir sind in der Hälfte der Legislaturperiode der neuen Mehrheit angekommen. Bis jetzt hat sich das Versprechen von „engem neie Wand“ nicht erfüllt. Die Lage der Nation ist alles andere als rosig. In einer Zeit, in der die sozialen Ungleichheiten immer größer werden und in der die Bevölkerung immer mehr verarmt, reicht es nicht mehr, nur zu lüften. Die Regierung muss endlich die Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit gehen.
Carole Thoma, Sprecherin „déi Lénk“