Während die sanitäre Krise langsam abzuflachen scheint und die Isolationsmaßnahmen aufgelockert werden, freuen wir uns darauf, endlich das Frühjahrswetter mit Freunden genießen zu können. Werden in einigen Wochen die soziale Isolation und die Angst vor unkontrollierbarer Verbreitung des Virus hoffentlich nur noch böse Erinnerungen sein, so stellt sich doch die Frage nach den sozialen und wirtschaftlichen Langzeitfolgen der letzten Wochen. Dabei müssen die nun nötigen Veränderungen nicht unbedingt negativer Natur sein. Ich will versuchen, im Folgenden einige erste Lehren aus der aktuellen Krise zu ziehen, die dabei helfen könnten zu entscheiden, in welche Richtung wir uns von hier aus entwickeln wollen.
Die aktuelle Krise hat mehr denn je gezeigt, welche Arbeitsplätze in unserer Gesellschaft systemrelevant sind, und wer sie erledigt. Es sind vor allem Frauen und Grenzgänger.innen, die im Gesundheits- und Pflegebereich, im Einzelhandel und in der Reinigung arbeiten, die während der Krise weiterarbeiten mussten und somit die Grundversorgung der Gesellschaft aufrechterhalten haben. Zudem handelt es sich im Allgemeinen um unterbezahlte Arbeit unter schwierigen Bedingungen, der nicht der nötige Respekt gezollt wird. Das alles zeigt umso mehr, dass die Forderungen des ersten allgemeinen Frauenstreiks im März ihre Berechtigung hatten und bestätigt zudem die Forderung von déi Lénk, den Mindestlohn strukturell mindestens um 10% zu erhöhen. Es reicht nicht, den Angestellten symbolisch zu danken, sondern wir müssen dafür sorgen, dass, wer systemrelevante Arbeit leistet, von dieser auch anständig in Luxemburg leben kann. Der Mindestlohn ist kein Almosen, sondern die verdiente Gegenleistung für wichtige Arbeit.
Luxemburg blieb glücklicherweise von katastrophalen Zuständen, wie sie aus Italien und den USA bekannt sind, verschont. Einer der Gründe ist mit Sicherheit unser starkes öffentliches Sozial- und Gesundheitssystem. Anders als in den USA musste hier kein.e Lohnabhängige.r fürchten, im Krankheitsfall auf alle Einnahmen verzichten zu müssen. Und anders als Italien wurde Luxemburg in den letzten Jahren wenige Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem von der europäischen Kommission aufgedrängt, die zur Aushöhlung des Krankenhaussektors führten. Wäre die neoliberale Globalisierungspolitik der europäischen Union in den letzten Jahrzehnten nicht so ungebremst fortgeschritten, würde das notwendige medizinische Material auch noch in Europa hergestellt werden, was den Mangel und das resultierende zwischenstaatliche Konkurrenzdenken verringert hätte.
Die ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Langzeitfolgen der sanitären Krise sind nur schwer einschätzbar, hängen jedoch auch von politischen Entscheidungen ab. Die politischen Verantwortlichen können, ähnlich der Finanzkrise von 2008, die Kosten der nachfolgenden Wirtschaftskrise auf die arbeitenden Menschen abwälzen, die Sozialsysteme schwächen und die Armut erhöhen. Oder sie können Lehren aus der Vergangenheit ziehen und nicht mehr zum „business as usual“ übergehen. Anstatt Austerität zu betreiben müssen Investitionen in das Sozialsystem, die Infrastrukturen und eine sozial-ökologische Umwandlung der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Die Art und Weise zu wirtschaften muss sich grundlegend verändern. Die Kosten für diese notwendigen strukturellen Veränderungen dürfen diesmal jedoch nicht wieder auf die arbeitenden Menschen abgetragen werden. Viel eher ist es an der Zeit, Superreiche und multinationale Unternehmen, die zum Teil sogar noch von der Covid-Krise profitiert haben, zur Kasse zu bitten. Sie müssen endlich Verantwortung übernehmen für eine solidarische und ökologische Gesellschaft. Sie werden es nicht freiwillig tun. Die Politik ist gefordert.