FRAGE:
Vor- und Nachnamen der Fragesteller werden anonymisiert.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte folgende Frage stellen:
Unser ganzes System ist auf Wirtschaftswachstum aufgebaut. Jedes Jahr benötigen wir, damit es gut funktionieren soll und kann, am besten mindestens 2,5 % Wirtschaftswachstum. Wir brauchen immer mehr Arbeitskräfte, die später die Renten derjenigen bezahlen, die jetzt in die Kassen einzahlen. So gesehen, ein Fass ohne Boden, denn später brauchen wir wieder mehr Menschen, die arbeiten und einzahlen sollen.
Dass dies so nicht weitergehen kann, scheint doch einzuleuchten, unser System ist in Wirklichkeit ein unrealistisches “Schneeballsystem”.Auch wenn wir in Zukunft vermehrt in “grüne” Technologien investieren, so ist dies sicherlich gut und begrüssenswert. Dies könnte in naher Zukunft einige Arbeitsplätze schaffen und darüber hinaus auch positiv für die Umwelt sein. Irgendwann aber ist dieser Markt so regulär wie alle anderen und dann gibt er auch keine neuen Arbeitsplätze mehr her.
Im letzteren Sinne nur eine kurzfristige Massnahme, die jedoch am eigentlichen Problem nichts löst.
Das Märchen vom ungebremsten Wirtschaftswachstum
Bei etwa 2,5 % Wachstum bedeutet dies ca. eine Verdopplung alle 20 Jahre. Sie kennen sicherlich das Problem vom Schachbrett? Ein Reiskorn auf das erste Feld, 2 auf das zweite, 4 auf das Dritte, 8 auf das Vierte, usw, jeweils die Doppelte Anzahl an Körnern auf das nächste Feld. Aber genau so funktioniert doch unser System. Wann wird es denn zusammenbrechen, resp. was schlagen unsere Politiker vor, damit es nicht soweit kommen könnte? Damit später nicht alles verbaut ist und Menschen weiterhin ein einigermassen würdiges Leben führen können?
Danke
besten GrussJ. T.
ANTWORT
Lieber Herr T.,
Sie werfen gleich mehrere komplexe Fragen auf.
Ich möchte mit der Finanzierung des Rentensystems beginnen. Für uns sind die Renten immer noch ein „differierter“ Lohn , d.h. ein Teil des Lohns wird direkt zum Lebensunterhalt ausgezahlt ein anderer Teil fließt in die Kassen, um nach Ende des aktiven Arbeitslebens ausgezahlt werden zu können. Es bedarf in der Tat einer gewissen Proportion zwischen Aktiven und Pensionierten, damit das System weiterlaufen kann. Diese Proportion ist in Luxemburg jetzt noch überschüssig und stellt kein Problem. Wie wird es in Zukunft sein?
Als erstes müssen die Deckelungen der Beiträge aufgehoben werden. Auch die Großverdiener sollen den ganzen Prozentsatz in die Kassen abgeben. Die Machthaber im Land wollen das nicht. Sie wollen dass diese Gelder in die privaten Zusatzversicherungen fließen und spekulativ angelegt werden. Es gibt also im Moment schon „Luft nach oben“, die ganz leicht mit einer gesetzlichen Maßnahme aufgefüllt werden kann.
Längerfristig gibt es noch ganz andere Möglichkeiten. Es gibt Finanzgesellschaften, die nur 2 Beschäftigte haben, also nur ein paar hundert € in die Kassen fließen lassen, während sie aber einen Umsatz von vielen Millionen € haben und eine Wertschöpfung, die beachtlich ist. Diese ist überhaupt nicht beitragspflichtig und auch kaum steuerpflichtig. Man könnte einwenden, dass das mit der Rentenfinanzierung nichts zu tun hat. Das stimmt aber nicht. In Luxemburg legt der Staat einen kräftigen Teil zum Sozialversicherungssystem bei…aus Steuergelder, woher sonst? Es gibt aber keine Steuergerechtigkeit im Land, 80% der Betriebe zahlen gar nichts, die Mehrwertschöpfung im Finanzsektor unterliegt nicht der Mehrwertsteuer, die gilt nur für den Endverbraucher, meistens also dem Salariat.
Die Frage der Finanzierung der Sozialversicherungen ist also eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der Verteilung des geschaffenen Reichtums. Eine Rentenmauer gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, um den Sozialstaat besser abbauen zu können.
Nun zur Frage des endlosen Wachstums. Ich möchte zweierlei unterscheiden: Wachstum durch weitere Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wird nicht mehr möglich sein. Wir bräuchten mehrere Planeten, haben aber nur einen. Ölkonzerne dürfte es gar nicht mehr geben, nur leider beherrschen sie die Welt. So komisch es auch klingen mag: die aktuellen Machthaber sind altmodisch und technologiefeindlich. Wir fahren seit weit über hundert Jahren mit dem Otto-Explosionsmotor, zur Energiegewinnung verfeuern wir organisches Material (biologisch oder fossil) wie es bereits die Steinzeitmenschen getan haben. Sind wir nicht recht bei Trost? Die Sonnenenergie, die auf der Erde ankommt, würde reichen um 80 mal den aktuellen Energieverbrach der Menschheit zu ersetzen, sagen die Wissenschaftler. Die Technologie erlaubt bisweilen die Ausbeutung dieser Energie nur zu einem kleinen Prozentsatz. Doch steigt dieser Prozentsatz durch die (ungenügende und gebremste) Forschung.
Ich bin aber davon überzeugt, dass Wachstum in Zukunft möglich ist durch den Ausbau der Produktion im Bereich des Erneuerbaren und zwar in den essentiellen Wirtschaftsbereichen, nicht nur in marginalen, „grünen“ Bereichen. Das geht aber frontal gegen die Wirtschaftsinteressen der aktuellen Machthaber, die dabei sind immer mehr künstliche Bedürfnisse für blindes Wachstum zu schaffen und Waren herstellen (z.B. Haushaltsartikel), die technisch auf eine kurze Lebensdauer programmiert sind.
Wir glauben, dass einer der Schlüssel der Entwicklung die radikale Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und die Senkung der Wochenarbeitszeit entsprechend den Technologiegewinnen sein wird, aber das wäre weiter auszubauen und zu begründen.
Was unbedingt auch weiter ausgebaut werden müsste, ist die Frage der Bedeutung des BIP. Das ist kein wissenschaftlich begründeter Wert, wie etwa die Länge eines Jahres oder der Wert eines PS. Es ist ein ausschließlich marktwirtschaftlicher Wert. (Wenn ein Bauer in Afrika Subsistenzwirtschaft betreibt und damit seine Familie ernährt, gehört seine Wertschöpfung nicht ins BIP, eine Wertschöpfung ist es dennoch.) Dasselbe gibt für Kochen zu Hause, Kindererziehung usw. Ich kann diese Überlegungen nicht weiterführen.
Sie werden verstehen, dass ich mich in meiner Antwort begrenzen muss und deshalb ihre Fragen nicht bis in die letzte Konsequenz behandeln kann.
Vielen Dank für ihr Interesse und Bitte um Nachsicht, wenn alles zu kurz geworden ist.
Mit freundlichen Grüßen,