Zu Gast am Land
Die feigen und menschenverachtenden Anschläge in Paris vom 13. November galten unserer demokratischen und multikulturellen Gesellschaft. Zwei Konzepte, die seit jeher und überall der faschistoiden Rechten ein Dorn im Auge sind, für sie den Quell allen Übels darstellen und deshalb autoritär und gewaltsam aus dem Volkskörper vertilgt werden müssen, um die Reinheit von wahlweise Rasse, Religion oder Kultur wiederherzustellen. Dies haben ISIS und Anders Breivik objektiv gemeinsam.
Während Regierung und Parlament in öffentlichen Erklärungen zurecht zur Verteidigung von Demokratie und multikultureller Gesellschaft aufrufen und unermüdlich mahnen, die Gesellschaft nicht zu spalten und keine falschen Schuldigen zu suchen, hat in manchen Parteien ein Überbietungswettstreit begonnen, wer am autoritärsten, einfache Lösungen gegen den Terrorismus anzubieten hat.
Nur wenige Stunden nach den Terroranschlägen von Paris konnte ein ADR-Mandatsträger das Problem benennen: „Multi-kulti“ und der „Import von kulturfremden, religiösen Ideologien“, selbiger fordert mittlerweile die Schließung der luxemburgischen Grenzen und stellt selbst die Genfer Konvention in Frage.
Ein CSV-Abgeordneter und vormals erster Bürger des Landes fordert ein Burka-Verbot, weil die Gesichtsverschleierung durch die jüngsten dschihadistischen Kamikaze-Attacken ein Sicherheitsproblem darstellten. (Als ob sich jemals eine Frau einen Sprengstoffgürtel um die Stirn gelegt hätte!)
Partei- und Fraktionspräsident der LSAP schlagen in die gleiche Kerbe: verschleierte Frauen dürften nicht „ernsthaft davon ausgehen, dass ihnen mit Wohlwollen“ begegnet werde. Die Sozialdemokratie übernimmt damit über Nacht die Position der rechten ADR, die bereits einen ähnlichen Gesetzesvorschlag einbrachten. Die LSAP fällt damit zum ersten Mal öffentlich einem Minister der Dreierkoalition in den Rücken, so dass selbst Premierminister Bettel vor einer „Amagalmisierung“ von Themen warnen musste, die nichts miteinander zu tun haben.
Es geht mir nicht darum, das Für und Wider eines Vermummungsverbotes zu diskutieren – das Schicksal der betroffenen Frauen scheint übrigens niemanden zu interessieren -, sondern aufzuzeigen, wie in weniger als einer Woche der politische Diskurs auf eine stramm rechte Schiene gesetzt wurde: der Feind im Innern muss ausfindig gemacht werden – unter dem Schleier verbirgt sich vielleicht ein potentieller Attentäter.
Die abscheulichen Terroranschläge der ISIS verfolgen ein doppeltes Ziel in unserer Gesellschaft: sie wollen erstens Angst sähen, weil Angst die Grundlage dafür ist, um demokratische Rechte autoritär einzuschränken. Zweitens geht es darum, die Gesellschaft in verfeindete religiöse, nationale oder kulturelle Gruppen aufzuspalten.
Der eigentliche Kampf gegen den Terror wäre der Kampf gegen die Durchsetzung dieser Ziele. Wir müssen unsere freiheitliche, demokratische und multikulturelle Gesellschaft offensiv bejahen, anstatt sie zu demontieren. Dies wäre die effektivste Waffe, in einer Auseinandersetzung, die wir sonst nur verlieren können. Die Haltung der LSAP ist eine bedingungslose Kapitulation.
Marc Baum, Sprecher von déi Lénk