Die öffentlichen Debatten der letzten Monate um die Reform der Sekundarschule haben gezeigt, dass das Erziehungsministerium (MEN) es noch immer nicht versteht, die Erfahrungen, Einwände, Befürchtungen und Vorschläge aller Akteure – Lehrer/Innen, Schüler/Innen und Eltern – in einen konstruktiven, respektvollen und demokratischen Dialog mit einzubeziehen. Nach dem Deponieren der Gesetzesvorlage wird wieder einmal deutlich, dass berechtigte Kritiken unzureichend berücksichtigt wurden. An den Eckpfeilern der Reformvorlage wurde festgehalten. Die Frage nach den Finalitäten und der Notwendigkeit der Reform des Sekundarunterrichts stellt sich umso mehr, da die zwei vorangegangen Reformen der Grundschule und der „Formation Professionnelle“ bisher weder verdaut noch wissenschaftlich fundiert analysiert wurden.
Im Vordergrund muss für „déi Lénk“ bei jeder schulischen Reform die Frage der sozialen Gerechtigkeit stehen. Eine sozial gerechte und emanzipative Bildung für alle bleibt für uns der Maßstab aller jetzigen und zukünftigen Reformbestrebungen.
Änderungen in Richtung einer erweiterten Autonomie sind aus dieser Optik ein doppelschneidiges Schwert. Die Einführung des „Travail Personnel“ kann für Schüler, die nicht die Chance haben, durch familiäre oder sonstige positive Rahmenbedingungen ihr Wissen gezielt zu erweitern, eine Pervertierung des Autonomiebegriffes bedeuten. Eine methodische und pädagogisch sinnvolle Umrahmung innerhalb der Schule muss die eventuellen sozialen Ungleichheiten ausgleichen – und dies nicht erst im letzten Jahr vor dem Abitur. In diesem Sinne ist die Einführung eines Tutorats auf den unteren Klassen zu begrüßen. Zu bedauern ist, dass die folgenden Jahrgänge davon nicht profitieren. Die genaue Rolle und Aufgaben des Tutors müssten allerdings genauer umrissen werden.
Negativ zu bewerten ist die Reform in Sachen Allgemeinbildung. Obschon die Motivation des MEN für die Abschaffung der Sektionen im Lycée classique die Erweiterung der „culture générale“ sein soll, kommt man bei näherem Betrachten des Sprachenunterrichts und der so genannten „Dominantes“ zu einer anderen Schlussfolgerung. Da die „grilles horaires“ (Wochenstundenzahlen der Einzelfächer) erst durch großherzogliche Reglemente festgesetzt werden sollen, ist zu befürchten, dass die Geisteswissenschaften die großen Verlierer sein werden. Der Sprachenunterricht wird außerdem bestimmt von der utilitaristischen Ausrichtung der Europäischen Sprachenpolitik. In diesem Zusammenhang muss auch die Diskussion bezüglich des Kompetenzenunterrichts gesehen werden, der die kommunikative Funktion der Sprache zu Lasten ihrer kulturellen und sozialen Dimensionen überbewertet. Enttäuschend ist auch, dass der technische Sekundarunterricht auf zwei Sektionen fast keine allgemeinbildenden Fächer anbietet.