Das meint unser Gastautor der 2012 zur ersten strukturellen Rentenreform der CSV/LSAP – Koalition für déi Lénk sprach.
Von Serge Urbany
Man muss die aktuelle Rentenreform-Debatte vor allem in einem Kontinuum seit den letzten 25 Jahren sehen.
Reform von 2012 war der Anfang
Entscheidend war die strukturelle Reform des LSAP-Ministers Mars Di Bartolomeo von 2012 (damals war Luc Frieden Finanzminister), die laut Aussagen der aktuellen Regierung integral beibehalten werden soll und laut OGBL-Aktuell negativ „langfristig von enormer Bedeutung ist.“ (4/24, Reform 2012)
Sie betrifft bereits heute die Jahrgänge von Rentnerinnen und Rentnern, die seit 2013 in Pension gegangen sind. Ab diesem Datum wurde Jahr für Jahr der Hebesatz für die Rentenberechung gekürzt. Von diesen Kürzungen sind also bereits 12 Jahrgänge von Rentnern betroffen. Die Kürzungen sollen für die insgesamt 40 betroffenen Jahrgänge progressiv bis 2052 weitergehen. Zum Schluss soll der Verlust bei einem durchschnittlichen Lohn 12,7% der Rente ausmachen. Für jemanden der 2052 mit einem Durchschnittsgehalt in Rente gehen wird und 25 Jahre lang Rente bezieht, wird das dann einem Gesamtverlust von 190.000 Euro entsprechen, wie die Salariatskammer ausgerechnet hat (Econews mai 2023).
Hinzu käme der 2012 beschlossene Wegfall der Angleichung der Renten an die Lohnentwicklung und die Liquidierung der Jahresendzulage voraussichtlich bereits ab 2028. Allein die komplette Nichtanpassung der Rente an die Lohnentwicklung während 25 Jahren würde dann einen weiteren Verlust von bis zu 123.000 Euro bei einer Durchschnittsrente während 25 Jahren ausmachen.
Alle Generationen betroffen
Es ist also falsch zu behaupten, dass mit der anstehenden Reform Frieden nur die Jungen und nicht die Alten betroffen seien. Betroffen sind alle Schichten der Arbeiterklasse und ich rechne zur Arbeiterklasse alle Menschen, die auf Lohn und Rente für ihre Arbeit angewiesen sind, um zu überleben.
Die Reform Di Bartolomeo ging von der Hypothese aus, dass die Menschen lieber 3 Jahre länger arbeiten würden, anstatt fast 13% Rentenverlust zu erleiden. So sollte das effektive Renteneintrittsalter nach 40 Jahren Arbeit aus „Einsicht“ z.B. von 60 auf 63 Jahre heraufgesetzt werden. Diese Rechnung ging nicht auf und auch die privaten Zusatzrenten hatten nicht den erwarteten Erfolg. Was beweist, dass das ab 60 Jahren mögliche Renteneintrittsalter den Bedürfnissen und Erwartungen vieler Menschen entspricht und private Versicherungsprodukte zurecht mit Skepsis betrachtet werden (auch wegen der negativen Erfahrungen damit u.a. in Deutschland).
Deshalb besteht die „Innovation“ der Reform Frieden darin, von der Freiwilligkeit zum Zwang überzugehen. So wie der Premier es erklärte, soll das frühe Renteneintrittsalter von 60 Jahren (nach 40 Jahren Arbeit) nunmehr obligatorisch ab 2030 erhöht werden, jedes Jahr um 3 Monate. Wer heute um die 45 Jahre alt ist, müsste dann schlussendlich rund 2,5 bis drei Jahre länger arbeiten (in Wort vom 22.5.2025: „Martine Deprez verteidigt Luc Friedens Rentenreform-Pläne“). Auch sollen zusätzliche Anreize für Privatrenten geschaffen werden.
An die Arbeitsfront!
Damit wird zuerst einmal das Ziel angestrebt, die Menschen länger unter unsicheren Bedingungen und Einkommensverlusten an der Arbeitsfront zu halten, was wiederum Auswirkungen auf das Rentenniveau haben wird:
-bleiben die älteren Arbeiter länger in der Arbeit, steigt die Jugendarbeitslosigkeit und die Notwendigkeit für die junge Generation, sich mit Behelfsarbeiten über Wasser zu halten;
-bleiben die Älteren nicht länger in Arbeit (weil sie von ihrem Arbeitsplatz verdrängt werden, was eher der bisherigen Erfahrungen entspricht), fallen sie ebenfalls auf dem Arbeitsmarkt unter verschlechterte Bedingungen oder gar in den REVIS.
Die steigende Arbeitslosigkeit wirkt ihrerseits in ihrer Lohndrückerfunktion, was wiederum die Verwertungsmöglichkeiten des Privatkapitals heraufsetzt. Man ist ja generell bestrebt, die Ressourcen von der arbeitenden Mehrheit zu der investierenden Minderheit zu verlagern, die als Einzige für fähig gehalten wird für den Wohlstand zu sorgen.
Alles wurde dem Privatkapital bis jetzt gerecht gemacht.
In diesem Sinne wurden die obligatorischen Beiträge zur Rentenversicherung auch zum letzten Mal 1977, also vor fast 50 Jahren, erhöht, weil sie beide („Patronats“- und „Salariats“beitrag) ein integraler Bestandteil der Lohnmasse sind!
Und da Beitragserhöhungen Lohnerhöhungen sind, werden sie auch weiterhin von Frieden ausgeschlossen (sie wurden zuletzt 2012 für 10 Jahre blockiert).
Luxemburg hat somit niedrige Bruttolöhne im Vergleich zu den Nachbarländern, aber gleichzeitig auch hohe Nettolöhne (wegen der niedrigen Sozialbeiträge, die vom Brutto abgehalten werden), was beides als konkurrenzieller Standortvorteil ausgegeben wird. Dass das Rentenniveau trotzdem seit 50 Jahren gehalten werden konnte, liegt allein am großen Zuwachs an jungen Arbeitern und Angestellten, die Sozialbeiträge zahlen, im Vergleich zum (bisher) kleineren Zuwachs an Rentnern.
Die eingefrorene Sozialabgabe (8+8% Patronats- und Salariatsbeitrag) genügte zwar bisher, zusammen mit dem 8%-Zuschuss des Staates, um die Renten auszuzahlen. Sie sollte aber keineswegs dazu verwendet werden, die Renten (darunter besonders die kleinen Renten) wirklich zu verbessern! Stattdessen wurde das überschüssige Geld dazu verwendet, die sich ansammelnde Rentenreserve zu den Finanzmärkten umzuleiten.
Das wurde ermöglicht durch eine weitere strategische Reform, nämlich des Gesetzes vom 6.Mai 2004 über die Verwaltung des Vermögens des allgemeinen Rentensystems unter Federführung des DP-Ministers Carlo Wagner. Anstatt bisher für die Ökonomie des Landes (1/3 Darlehen an den Staat, 1/3 an die Betriebe, 1/3 an die Privatversicherten – vielen bekannt dürften noch die Wohnungskredite an Privatbeamte sein) sollte das Geld der Rentner nunmehr weltweit in Aktien, Obligationen und Immobilienspekulationen gesteckt werden.
Setzen wir uns für Verbesserungen in unserem Rentensystem ein! Alle auf die Straße!
Doch mit Friedens geplanter Zwangswirtschaft geht es nunmehr endgültig ans Eingemachte. Wie der OGBL schrieb, hat die Luxemburger Politik sich entschieden „den zukünftigen Generationen nicht mehr das Rentenniveau ihrer Eltern zu garantieren, sondern es auf das Niveau ihrer Großeltern herabzusetzen.“ (Aktuell 4/24, Reform 2012) Und Privatpensionen zu fördern, welche im Gegensatz zum öffentlichen Rentensystem vom Nettolohn eines Jeden, einer Jeden bezahlt werden müssen und nicht demokratisch verwaltet werden, sondern vor allem dem Profitinteresse der Versicherungsgesellschaften dienen.
Wir sollten alle – jung und alt – uns am 28. Juni für unser öffentliches Rentensystem und die darin nötigen Verbesserungen und umverteilenden Finanzierungen, die nur dort möglich sind, einsetzen!
Serge Urbany
Der Autor, Jahrgang 1952, ehemaliger Rechtsanwalt, war déi Lénk-Deputierter (2002-2004, 2011-2016) und Verantwortlicher der juristischen Abteilung des OGBL (2005-2017).