Mitten im politischen Sommerloch ließ die liberale Kulturministerin Maggy Nagel verlauten, dass das Nationalarchiv nicht, wie vorgesehen, auf Belval untergebracht werden soll, sondern in der Umgebung der Hauptstadt. Das auf Belval vorgesehene Areal sei zu klein. Seltsam: Das Projekt von Paul Bretz Architectes, das 2003 unter den Vorschlägen von 11 Konkurrenten, in einer europäischen Prozedur ausgesucht worden war und inzwischen von der Regierung aufgegeben wurde, hatte damals Platz genug auf Belval gefunden.
Wir wissen aus informierter Quelle: Das Bauterrain ist nicht zu klein, die Pläne sind bis ins Detail ausgearbeitet, Baubeginn könnte schon morgen sein. (Archives Nationales Belval googeln, da findet man das Protokoll der Jury und Abbildungen. Das Büro Bretz wurde später immerhin für den Mies van der Rohe-Award für sein Projekt des Düdelinger audiovisuellen Zentrums nominiert.) Nun sollen nicht mehr die wissenschaftliche Funktion und der sinnvolle Niederlassungsort als erste Kriterien gelten, sondern die Finanzierungsfrage. Allgemein scheint es so, dass die Mission der zuständigen Ministerin nicht in der Gestaltung einer Kulturpolitik bestehen soll – das kann sie auch nicht – sondern ausschließlich in der Gestaltung einer Sparpolitik in den verschiedenen Kulturbereichen. Doch ist es fraglich, ob die gänzliche Neuabwicklung der Prozeduren überhaupt einen finanziellen Vorteil haben kann.
Die Vorteile des Standorts auf Belval sind offensichtlich: Das Bauterrain ist reserviert und gehört dem Fonds Belval, einer staatlichen Institution. Dieser Standort liegt in unmittelbarer Nähe zur bereits fertiggestellten humanwissenschaftlichen Fakultät der Uni-Luxemburg, die bekanntlich eine Forschungsuni sein soll. Der Bahnhof Belval-Université mit seinen Verbindungen im 15-Minutentakt liegt gleich um die Ecke. Der geplante Standort gehört zur Hochofenterrasse und ist gegen Wassereinbrüche gefeit. Bis vor kurzem herrschte seitens der Regierung Funkstille in Sachen Nationalarchiv bis Wassereinbrüche die „réserve précieuse“ des Archivs bedrohten und die Dringlichkeit des Neubaus, entgegen dem Desinteresse der Regierung an der Frage, wieder ins rechte Licht gerückt wurde. Das „Land“ hat die wissenschaftliche Bedeutung des Archivs erst vor kurzem gründlich dargestellt.
Eine Verlegung des Neubaus in die Umgebung der Hauptstadt würde also eine erneute Suche nach einem Terrain und den Erwerb von Bauland bedeuten, erneute Vorstudien, erneute Ausschreibungen mit allen Kosten, die solche mit sich bringen und könnte keinesfalls eine Einfügung in ein akademisch-wissenschaftliches Umfeld aufweisen, wie sie auf Belval gegeben ist. Baubeginn und Einzug in die neuen Mauern würden um weitere Jahre verzögert. Immerhin ist auf Belval das Terrain bereits bezahlt. Manche werden einwenden, die Nationalarchive gehörten in die Hauptstadt. Dazu gibt es durchaus Gegenargumente, wie die sinnvolle Dezentralisierung der Institutionen und die örtliche Anbindung an die Forschungsuniversität. Die Frage wird von der Kulturministerin sowieso nicht aufgeworfen; sie will die Archive in einem Vorort Luxemburgs.
Nun stellt sich die Frage, was die Ministerin wirklich dazu bewegt, die Archive von Belval weg in die Umgebung der Hauptstadt zu verlegen. Kulturelle und wissenschaftliche Gründe sind es wohl kaum, denn sie ist von Kultur und Wissenschaft unbefleckt, die finanziellen Argumente sind anfechtbar, der Platzmangel eine Lüge. Wer hat sie so schlecht beraten?
Die Antwort ist naheliegend: Sie handelt aus parteipolitischem Kalkül und auf Druck einer retrograden Beamtenlobby. Die Verwurzelung der DP der Frau Nagel ist im Süden (außer vorläufig noch in Differdingen) weitgehend in Frage gestellt, im Zentrum liegt ihre Einflusssphäre. Für manche konservative Beamte ist die Idee, nach Esch zur Arbeit zu fahren, ein reines Gräuel. Dann lieber neben Cactus auf der grünen Wiese in einer Nullachtfuffzehn-Kiste.
Nun wird es aber Zeit, dass die wissenschaftliche Forschung, die Kulturschaffenden, die Medien, der Ordre des Architectes, die Escher Stadtverwaltung und die politische Opposition auf die Unfähigkeit und die Befangenheit der Ministerin reagieren und den Bau des Belvaler Projekts in der alten oder in einer aktualisierten Form einfordern.
Frank Jost
(Frank Jost ist Mitglied des Koordinationsbüros von déi Lénk und Aktivist in Esch.)