Kein Zuhause.
Im Kapitalismus gilt als „integriert“, wer dem Staat nicht auf der Tasche liegt. Die hier zutage tretende mangelnde Trennschärfe zwischen Wirtschaft und Gesellschaft liegt dabei ganz in der Natur des Systems. Sie ermöglicht die auch legale Unterscheidung zwischen Migrierten und Geflüchteten, von denen erstere oft gleich wieder gehen müssen und letztere zumindest hoffen dürfen bleiben zu können. Ebenso die Unterscheidung von Ex-Pats und Gastarbeitern, von denen erstere kommen, weil sie wirtschaftlich mobil sein können und letztere, weil sie wirtschaftlich mobil sein müssen. Honi soit qui mal y pense, aber dieses Verständnis von Integration könnte auch schlicht als Klassenpolitik beschrieben werden, die qua Kaufkraft in „gute“ und „schlechte“ Ausländer.innen unterscheidet.
Ganz falsch ist das nicht, sofern eingestanden wird, dass Integration sich hier am Markt misst, und nicht am menschlichen Miteinander. Ein solcher Markt, in den gerade Geflüchtete sich in Luxemburg nur schlecht integrieren können, ist der Wohnungsmarkt. Laut Office National de l‘Accueil (ONA) beherbergen dessen Strukturen zurzeit 3200 Personen, von denen die Hälfte bereits den Flüchtlingsstatus besitzt und damit das Recht sich frei in Luxemburg niederzulassen. Weil sie keine Wohnung finden, können sie dies aber nicht, und bleiben weiterhin auf das ONA angewiesen. Und werden dann von manchen als schwer zu integrierende Landeier verhöhnt …
Weiter bei den Eltern wohnen oder zu den wenigen Großgrundbesitzerfamilien im Land gehören kann halt nicht jeder. Schwer zu integrieren sind in diesem Sinne aber nicht nur Geflüchtete und andere „schlechte“ Ausländer.innen – wie etwa die zahlreichen Grenzpendelnden, denen man eh unterstellt nicht dort wohnen zu wollen wo sie arbeiten – sondern auch immer mehr gebürtige Landeskinder die aus ihren Heimatorten in die Grenzgebiete verdrängt werden, weil auch ihr Widerstand gegen die Wucherwut am Wohnungsmarkt oft hoffnungslos ist.
Eine dieser vermehrt unter Druck stehenden Widerstandsformen sind Wohngemeinschaften, die in Gemeinden wie Esch/Alzette auf der Abschussliste stehen. Gerade jene Form des Zusammenlebens, die nicht nur unter jungen Menschen besonders beliebt ist, sondern in Ländern wie Deutschland auch als Optimallösung gegen Altersarmut und -einsamkeit und mangelnde Integration von Geflüchteten gefeiert wird (Stichworte: Senioren-WG, Mehrgenerationenhaus, Bürger.innenasyl) scheinen im Großherzogtum ein unerwünschtes Geschmäckle zu haben. Vielleicht sind die WGs für manche konservative Kommunalpolitiker jenes letzte kleine Gallierdorf, das sich der Integration in den totalen Markt verweigert und diesen so verhindert.
In Zeiten, in denen Homeoffice und Télétravail die Zerstörung von Gemeinschaftsorten weiter beschleunigen und damit auch die identitätsstiftende Erfahrung geteilter Ausbeutung am Arbeitsplatz weiter erschwert, schafft die gemeinsame Entfremdung von Haus und Heim einen neuen Klassenkampf. Das ist auch eine Form von europäischer Integration. Nicht in den Markt und dessen makabre Leitkulturen hinein, sondern in ein Bewusstsein davon, dass Migration, als Frage von verlorenem Heim und Heimat, nicht ganz ungelöst ist von Wohnungsfragen. Am Wohnungsmarkt scheiden sich also nicht nur die besseren Geister, sondern es treffen sich dort jene Gespenster die der Neo-Liberalismus immer lauter dazu aufruft in Europa umzugehen.